Psychologische Sicherheit im Team: Warum sie so wichtig ist und wie du sie in deinem Team fördern kannst
- Larissa Carlsen

- 20. Sept.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Sept.

Hast du schon mal ein Meeting geleitet, in dem alle genickt haben und erst später merkst du, dass etwas nicht verstanden oder akzeptiert wurde? Dieses Schweigen kostet Führungskräfte und Teams jeden Tag Zeit, Energie und Vertrauen.
Nachdem ich ein neues Team übernommen hatte, stand ein Team-Meeting an. Ich präsentierte Zahlen, die für die Arbeit des Teams wichtig waren. Ein paar Stunden nach dem Meeting, bat mich eine Mitarbeiterin zum Vier-Augen-Gespräch. Sie erklärte mir, dass das gesamte Team irritiert sei: Die Zahlen, die ich genannt hatte, passten nicht zu dem, was sie bisher kannten.
Mir wurde klar: Ich hatte schlicht zwei Werte vertauscht. Für mich ein völlig banaler Fehler.
Aber: Kein einziges der 16 Teammitglieder hatte sich getraut, die Hand zu heben und nachzufragen bzw. mich auf diesen Fehler hinzuweisen. Stattdessen sprachen sie nach dem Meeting untereinander und schickten eine Kollegin vor, um mich diskret darauf hinzuweisen. Und haben so wertvolle Zeit damit verbrachten, über die „falschen“ Zahlen zu spekulieren.
Mich hat das damals sehr irritiert. Nicht, weil mir der Fehler unangenehm war. Sowas kann jedem passieren. Sondern, weil in diesem Team offensichtlich etwas fehlte: das Gefühl, sicher zu sein, eine Frage stellen oder auf einen Fehler hinweisen zu dürfen.
Heute weiß ich: Das war ein klassisches Beispiel für fehlende psychologische Sicherheit.
Psychologische Hintergründe: Warum wir Risiken meiden
Warum trauen sich Menschen nicht, eine einfache Frage im Meeting zu stellen, obwohl es allen helfen würde?
Die Antwort liegt in unseren Grundbedürfnissen. Wir Menschen wollen akzeptiert, respektiert und wertgeschätzt werden. Dieses Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist tief in uns verankert. Alles, was das gefährden könnte, also ausgelacht, abgewertet oder ausgeschlossen werden, empfinden wir als Risiko. Und Risiken vermeiden wir, wann immer es geht.
Dabei spielen zwei Mechanismen eine Rolle:
Soziale Risiken wiegen schwerer als inhaltliche Fehler:
Für viele ist es schlimmer, in einem Moment dumm dazustehen, als langfristig etwas zu nicht zu wissen
Die Gegenwart zählt mehr als die Zukunft:
Heute eine „dumme“ Frage zu stellen, fühlt sich gefährlicher an, als für die Zukunft Wissen aufzubauen. Unser Gehirn belohnt sofortige Sicherheit und meidet sofortige Blamage, auch wenn das bedeutet, später Nachteile zu haben.
Das Ergebnis: Menschen halten sich zurück, obwohl es für das Team besser wäre, sofort zu klären, was unklar ist. Genau hier zeigt sich die Bedeutung von psychologischer Sicherheit: Sie nimmt diesen Druck, weil klar ist, dass Fragen, Zweifel oder Kritik nicht zu Abwertung führen, sondern zum gemeinsamen Lernen.
Was bedeutet psychologische Sicherheit?
Psychologische Sicherheit beschreibt ein Klima in Teams, in dem sich Menschen trauen, ihre Meinung zu äußern, Fragen zu stellen oder auch Fehler offen anzusprechen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Spott, Abwertung oder Karrierenachteilen.
Wichtig ist die Abgrenzung: Psychologische Sicherheit bedeutet nicht, dass alles immer harmonisch und konfliktfrei ist. Es geht vielmehr darum, dass jede Stimme gehört werden kann, auch wenn sie kritisch ist.
Warum ist psychologische Sicherheit gerade in Teams so wichtig?
Zwischen 2012 und 2014 startete das Unternehmen eine großangelegte interne Studie, bekannt unter dem Namen „Projekt Aristotle“. Das Ziel: herausfinden, warum manche Teams besonders erfolgreich sind und andere nicht, obwohl sie mit ähnlich talentierten Menschen besetzt sind.
Dafür wurden über 180 Teams untersucht, Daten gesammelt, Interviews geführt und Teamdynamiken analysiert. Die Erkenntnis war: Nicht die besten Einzelpersonen machen das beste Team aus, sondern die Art und Weise, wie Menschen miteinander arbeiten.
Von allen Faktoren, die überprüften wurden (z. B. fachliche Exzellenz, klare Rollen, gemeinsame Ziele), war psychologische Sicherheit der entscheidende Schlüssel. Teams, in denen Mitglieder keine Angst hatten, Fehler oder Zweifel zu äußern, Fragen zu stellen oder neue Ideen einzubringen, waren messbar erfolgreicher: innovativer, produktiver und zufriedener.
Oder anders gesagt: Ein Team ohne psychologische Sicherheit verschenkt Potenzial. Es spielt nicht das volle Spiel, sondern hält sich zurück. Erst wenn Menschen sich sicher fühlen, zeigen sie wirklich, was sie können.
Ein Team ohne psychologische Sicherheit …
verschwendet Zeit mit Flurfunk und Spekulationen.
vermeidet Fehlerdiskussionen und macht sie damit oft größer.
sucht nach Schuldigen anstatt nach Lösungen.
schöpft Ideenpotenzial nicht aus, weil viele lieber schweigen.
Ein Team mit psychologischer Sicherheit …
klärt Missverständnisse sofort und effizient.
wächst durch Feedback, statt es zu fürchten.
sieht Fehler als Entwicklungsmöglichkeit
wird innovativer, weil auch „unfertige“ und utopische Ideen Platz haben.
Psychologische Sicherheit und hohe Erwartungen = High Performance
Wichtig ist: Psychologische Sicherheit allein macht noch kein High-Performance-Team. Wenn alle sich zwar sicher fühlen, aber es keine klaren Erwartungen, Ziele oder Ambitionen gibt, bleibt das Ergebnis oft „nett, aber wenig wirksam“.
Amy Edmondson beschreibt das mit einem einfachen Modell: Sie stellt psychologische Sicherheit auf die eine Achse und Leistungsanspruch/Erwartungen auf die andere. Daraus entstehen vier Felder:
High Performance Zone: Teams fordern und fördern sich gegenseitig, sind kreativ und lernen schnell.
Angstzone: Menschen sind gestresst, wagen keine Fragen, verschweigen Unsicherheiten und blockieren so Entwicklung.
Apathiezone: Niemand traut sich, niemand strengt sich an. Ein Team im Stillstand.
Komfortzone: Es ist zwar nett und entspannt, aber die Leistung bleibt auf der Strecke.

Das Ziel für Führungskräfte ist also, beides bewusst zu gestalten: ein Klima der Offenheit und ambitionierte Ziele. Erst dann können Teams wirklich wachsen und Spitzenleistungen erbringen.
Wie kannst du psychologische Sicherheit in deinem Team fördern?
1. Als Vorbild vorangehen
Eigene Fehler offen ansprechen und zeigen: Fehler sind Lernchancen.
Rückfragen und Kritik aktiv einladen („Fällt euch etwas auf? Seht ihr das anders?“).
Bewusst positiv reagieren, wenn jemand dich korrigiert oder eine unbequeme Frage stellt.
2. Mit Fehlern konstruktiv umgehen
Fehler nicht mit Schuld oder Sanktionen verbinden, sondern mit Lernen und Verbesserung.
Gemeinsame Fehler-Reviews („Was ist passiert? Was lernen wir daraus?“) statt „Wer war schuld?“.
Offene Kommunikation belohnen, nicht bestrafen.
3. Klare Rituale für Offenheit einführen
Feedbackrunden oder Check-ins am Ende von Meetings.
„Devil’s Advocate“-Rollen verteilen: Jemand bekommt bewusst die Aufgabe, kritisch nachzuhaken oder eine Gegenposition einzunehmen.
Fragerunden: z. B. am Ende von Präsentationen immer 2–3 Minuten nur für Nachfragen reservieren.
4. Kleine Mut-Momente sichtbar würdigen
Wenn jemand den Mut hat, etwas Kritisches anzusprechen, bedanke dich aktiv.
Anerkennung signalisiert: „Es ist sicher, hier die Stimme zu erheben.“
So entsteht Schritt für Schritt eine Kultur, in der sich alle trauen, beizutragen.
Psychologische Sicherheit als Schlüssel für Spitzenleistung
Psychologische Sicherheit ist keine „Kuschelzone“. Sie ist die Voraussetzung, damit Menschen den Mut haben, Fragen zu stellen, Zweifel zu äußern und Ideen einzubringen. Doch erst im Zusammenspiel mit klaren Zielen und hohen Erwartungen entsteht echte High Performance.
Teams brauchen beides: ein Klima der Offenheit und einen Anspruch, der sie fordert. Dann nutzen sie ihr volles Potenzial: innovativ, engagiert und wirksam.
Vielleicht lohnt es sich, dein eigenes Team einmal durch diese Brille zu betrachten: Wo stehen wir gerade? In der Angstzone, in der Komfortzone oder schon auf dem Weg in die High-Performance-Zone?
Und falls du merkst, dass psychologische Sicherheit oder die richtige Balance noch fehlt: Genau hier kann Teamcoaching und Teamentwicklung ansetzen und dich dabei unterstützen, die Kultur in deinem Team nachhaltig zu verändern.
Wenn du das Gefühl hast, dass in deinem Team noch zu viel unausgesprochen bleibt, ist das ein guter Anlass, etwas zu verändern.Mehr dazu, wie Teamcoaching dir und deinem Team helfen kann, findest du hier.
Und wenn du direkt ins Gespräch einsteigen möchtest: Buche dir gern ein unverbindliches 30-minütiges Kennenlerngespräch.
Und falls du dich erstmal selbst mit dem Thema beschäftigen willst, kann ich das Buch "Die Angstfreie Organisation" von Amy Edmondson weiterempfehlen. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher, wenn es um Teamentwicklung geht.

Ich freue mich, wenn du dir einen Impuls aus diesem Artikel mitnimmst und vielleicht sogar mit deinem Team ausprobierst.
Herzliche Grüße, Larissa


